Mit dem Studierenden–Seminar 'TQ Lindener Hafen' stellen wir uns die Frage, ob der Lindener Hafen das Potential hat ein Transformationsquartier zu sein. Wir waren zusammen mit Studierenden, Expert*innen und Macher*innen im Quartier unterwegs, um festzustellen: Hier wird bereits kräftig transformiert – Eine kurze Reflektion.
Bereits am 19. Oktober waren wir zu Gast bei der Leuphana Universität. Gemeinsam mit ca. 25 Studierenden widmen wir uns dieses Semester dem Lindener Hafen, sprechen mit Expert*innen, Immobilien-Entwickler*innen, Politiker*innen und Innovator*innen, um Utopien zur Umnutzung im Sinne einer nachhaltigen und innovativen Stadtentwicklung zu erzeugen.
Nach einer Einführung ins Thema und die Situation am und um den Stichkanal im Lindener Hafen, ging es ans Eingemachte und wir haben Themenfelder abgesteckt.
Transformationsquartier – Was heißt das eigentlich?
Transformation ist sicherlich erstmal ein abstrakter Begriff, heißt er doch schlicht Wandel. Wohin wandeln? Was wandeln? Wie und warum überhaupt? Städte müssen sich wandeln, um eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen, in der ein gutes Leben für alle möglich ist. Das sollte jeder und jedem inzwischen klar sein. Urbane Gebiete sind oft zu abhängig von globalen Lieferketten, Sie verbrauchen viel, versorgen sich selten (und wenn, nur zum Teil) selbst. Die Probleme sind vielfältig, vertrackt, verzahnt, wicked!
Unter dem Leitbild der produktiven Stadt möchten wir versuchen herauszufinden, welche Aspekte dieser Denkstrategie sich im Lindener Hafen integrieren lassen. Dazu haben wir verschiedene Themenfelder erarbeitet zu denen wir im laufenden Semester Utopien, Prozesse, Widerstände und Gemeinsamkeiten erarbeiten wollen.
Die Idee der „produktiven Stadt“ hat zum Ziel, inklusive und resiliente Städte durch die Etablierung und Sicherung nutzungsgemischter Strukturen unter Einbeziehung von Produktion zu schaffen.
– Dieter Läpple (2019)
Für den Lindener Hafen bedeutet das, zu untersuchen, welche Bedarfe die anliegenden Quartiere haben, welche die bereits anliegenden Stakeholder (von Politik über Verwaltung bis hin zu Unternehmer*innen und Zivilgesellschaft) mitbringen und was aus wissenschaftlicher Sicht die klügste Synergie aus beidem ist. Zu folgenden Themenfeldern und Kernfragestellungen forschen wir:
- Urbane Industrie
Wie können Bestandsindustrien integriert/transformiert werden? Wie stellen wir Energieunabhängigkeit her? Können wir Kreisläufe schließen? - Urbane Landwirtschaft
Gibt es Formen der urbanen Landwirtschaft, die im Quartier integriert werden können? - Urbane Logistik
Wie kann Regionalisierung/Resilienz durch neue Logistikwege bzw. -praktiken vorangetrieben werden? - Kreative Kulturräume
Wie können kreative Kulturräume eine Transformation des Quartiers katalysieren/begleiten? - Urbane Mobilität
Führen neue Mobilitätswege (z.B. ehem. Bahntrasse) oder -praktiken zu mehr Durchlässigkeit, Attraktivität und Nachhaltigkeit des Quartiers? - Beteiligung & Koproduktion
Wie kann ein wissenschaftlich begleiteter Beteiligungsprozess und/oder experimentelle Beteiligungsformate zu einer von der Stadtgesellschaft entwickelten Vision des Quartiers beitragen?
Ein Quartier im Wandel
Am 2.11. war es dann soweit und wir hatten das Vergnügen gemeinsam mit den Studierenden, Vertreter*innen der Stadtplanung und -politik, der Beschäftigungsförderung der Region, Immobilienentwickler*innen und Aktiven vor Ort, sowie Innovationstreiber*innen zumindest das Gebiet am Stichkanal zu besichtigen.
Welcher Ort wäre als Startpunkt für unsere Experimentierreise besser geeignet als das PLATZprojekt?!
Nach ein paar einleitenden Worten von mir, Kiriakoula Kremantzouli (kurz: Koula) und David Lampe, die sich zukünftig der Geschäftsleitung des PLATZprojekts widmen, ging es auch schon los und dem Sonnenuntergang entgegen.
An drei kleinen Stationen, die sich bereits wandeln oder in Zukunft wandeln werden), haben wir halt gemacht, um uns die Sache etwas genauer anzuschauen: Das Agravis Gebäude (Alte Speicher Straße 8), das Centralsilo und die Hannover Docks.
Agravis Gebäude
Das ehemalige Getreide-Silo der Agravis AG liegt ganz am Ende des Stichkanals und ist bereits seit einigen Jahren außer Betrieb. Wir hatten 2019/20 selbst versucht einen Fuß in die Tür zu bekommen und mit dem Werft-Konzept ein Zentrum für urbane Produktion zu entwickeln. Dieses Vorhaben scheiterte leider an der Zusage der Verwaltung der städtischen Häfen Hannover: Zu kleinteilig sei das Projekt und nicht auf den s.g. trimodalen Standort (Schiff-, Schienen und LKW-Logistik) ausgelegt.
Natürlich sind wir nicht die einzigen, die sich über dieses Gebäude Gedanken gemacht haben. Auch Carla Schumann hat sich im Rahmen ihrer Master-Thesis in Architektur und Städtebau mit der Immobilie beschäftigt. Heraus kam diese sehr sehenswerte Utopie: Speicher 8.
Aller Utopien zum Trotz soll das Gebäude nun abgerissen werden. Der Erbpacht-Vertrag der Agravis AG mit den städtischen Häfen läuft aus. Die Agravis AG muss das Gelände unbebaut übergeben und die städtischen Häfen melden, dass die Vermarktung des Geländes bereits abgeschlossen sei.
Eine Entwicklung im Bestand wäre mit Sicherheit eine spannende und gleichzeitig nachhaltigere Lösung gewesen. Der Stallbetonkoloss wird aber bald nicht mehr da sein.
Centralsilo
Erfreulichere Nachrichten gibt es hingegen ein Stück weiter nördlich. Der Immobilienentwickler Torsten Schwarz schafft mit dem Centralsilo Büro-, Produktions- und Lagerräume auf rund 9.600 m².
An einen 1937 gebauten Siloturm, der ursprünglich an einem Getreidesilo stand, wird ein achtgeschossiges Passivhaus-Gebäude angebaut. Der Neubau wird die für 2050 gesteckten Klimaschutzziele nicht nur erfüllen, sondern bereits heute mit einer Warmmiete für die Nutzerinnen Klimaschutz bezahlbar machen. Die Zentralsilo KG übernimmt als Bauherrin die Planung der PassivHausKonzepte GmbH, die in Hannover bereits einige Passivhaus-Projekte umgesetzt hat. Das Gebäude liegt direkt am Stichkanal, die Mieterinnen arbeiten zukünftig mit Blick auf Wasser und Industrielandschaft. Die Flächen sind flexibel gehalten und lassen Einheiten ab 200 m² für Coworking-Spaces, Büros und Manufakturen zu.
– hallolindenlimmer.de
Eine umfassende Beschreibung des Vorhabens ist bei den Freund*innen von hallolindenlimmer.de zu finden. Besonders spannend ist aus unserer Sicht das Energie-Konzept: So soll die Abwärme der in der benachbarten Fertigungshalle hergestellten Blockheizkraftwerke, die aus Testzwecken laufen, genutzt werden, um das Gebäude zukünftig zu heizen. Eine begrünte Fassade wird dem Quartier außerdem einen lebendigeres Antlitz verleihen.
Hannover Docks
Ein kleines Stück weiter in der Entwicklung sind die Hannover Docks. Der Geschäftsführer Peter Talke war so nett uns einen Einblick zum aktuellen Baufortschritt zu geben, dabei kamen auch die ersten Konfliktlinien zwischen gewerblichen und industriellen Nutzungen im Hafen zu Tage.
Die Docks sind im Bestand entwickelt. Auch hier soll Platz für Büronutzungen, aber auch manufakturelles Produzieren geschaffen werden. Gleichzeitig bespielt der Kulturhafen ein Areal an der Vorderseite des Gebäudes mit einem lebendigen Kulturprogramm.
Den ein oder anderen Wermutstropfen gilt es allerdings trotzdem zu verdauen: So ist das Nebengebäude bereits teilweise als Gastrofläche ausgebaut. Diese wird wohl nie zum Einsatz kommen, da eine gastronomische Nutzung auf der Wasserseite des Gebäudes durch den Erbpachtvertrag mit den städtischen Häfen untersagt ist.
Dabei könnte es doch so schön sein: Das Betriebsgelände der städtischen Häfen wird entlang des Stichkanals auf beiden Seiten von der Umlade-Infrastruktur (zwei große Kräne auf Schienen) genutzt. Vom nördlichsten Punkt der Ostseite (Hannover Docks) bis zum Schrottplatz gibt es jedoch keinen Bedarf mehr, große Frachten zu oder von Wasser umzuladen. Gleichzeitig nutzen bereits viele Menschen diesen Abschnitt als städtisches Naherholungsgebiet mit industriellem Flair. Warum also keine lebendige Hafenpromenade mit Außengastronomie und einer moderierten Nutzung, statt einer illegalen?
Wäre es also denkbar hier eine Umnutzung anzustreben? Oberflächlich betrachtet, kann man nur ja sagen, aber es sprechen auch viele sicherheitsrelevante Aspekte dagegen. Das werden wir uns genauer anschauen und in den kommenden Monaten differenzierter berichten.
Peter Talke ist jedenfalls nach wie vor motiviert den Lindener Hafen mitzugestalten. Ihm fehlt es allerdings an einer gemeinsamen Vision und der dazu gehörigen ganzheitlichen Strategie.
Eigentlich muss die Stadtgesellschaft genauer definieren, wie der Lindener Hafen in Zukunft genutzt werden soll. Entwicklungspotential gibt es hier in alle Richtungen reichlich.
– Peter Talke
Das sehen wir sehr ähnlich. Die Wirtschaftsförderung Hannover hatte zwar 2019/20 ein Potentialgutachten für das Gebiet anfertigen lassen, leider ist es nicht öffentlich einsehbar. Wohin sich also der Hafen entwickeln soll, ist bisher noch unklar. Vielleicht schaffen wir es ja frischen Ideen neue Impulse zu geben.
Wir danken allen, die uns begleitet haben für das offene Ohr und Austausch auf Augenhöhe!